Recherche – der richtige Weg zu guten Geschichten

„Qualität kommt von Qual und Qual hat etwas mit Recherche zu tun“

Zunächst fand ich diese Warnung von Thomas Leif (Netzwerk Recherche) etwas übertrieben. Da hatte ich allerdings erst mit der ganz normalen, alltäglichen journalistischen Recherche zu tun. Inzwischen verstehe ich den Zusammenhang und stimme ihm unumwunden zu. 

1. Tag – Kennenlernen

3 Tage,  3 Tagungsleiter, 3 Referenten und immer wieder Rechercheplan, Rechercheprotokoll, Recherchethese. ProRecherche und die Akademie für Politische Bildung  haben mich einen See weiter gelockt – zum Starnberger See nach Tutzing.

Dieser zeigt sich im Januar 2018 wirklich von seiner schönsten Seite und die Zeit vergeht wie im Flug. Wobei ich schnell lerne, wie anstrengend Fliegen sein kann.

Thomas Schuler, Wolfgang Messner und Michael Schröder stellen Location, Idee und das Programm des Workshops vor. Ein Blick in die Runde zeigt: hier sind alle Medien, Alters- und Berufsgruppen vereint, die der Journalismus zu bieten hat. Rundfunk, Online, Lokalzeitung, freie Journalisten, Volontäre, Redaktionsleiter, von Anfang 20 bis Ende 50… 19 wissbegierige Menschen aus ganz Deutschland. Die Mischung ist abwechslungsreich, witzig und extrem spannend. Keiner ahnt, wie viele intensive Stunden wir hier gemeinsam mit kurzen sehnsuchtsvollen Gedanken an eine Auszeit am See verbringen werden 😉

Vier Studenten aus Eichstätt, die immer im Pulk agieren und für uns schnell zur „Eichstätt-Gang“ werden, haben vor einem Jahr schon mit ProRecherche gearbeitet. Sie zeigen stolz was daraus werden kann: ein Artikel in der ZEIT über Führerscheinbetrug – „Der Meister des Scheins“ . Es geht um einen dubiosen Anbieter, der Menschen ohne Fahrerlaubnis einen Führerschein aus dem europäischen Ausland in Aussicht stellt.

Wir hören von der Kreismethode, von Recherche in Facebookforen und auch von Fehlern, die ihnen und später auch der Zeitung unterlaufen sind und die sie nun nicht wieder machen werden. Wir hoffentlich auch nicht. Aber soweit sind wir eh noch lange nicht.

Erstmals wird uns klar, das es bei guten Geschichten nicht um schwarz oder weiß geht – Graubereiche sind das perfekten Feld für neugierige Journalisten die buddeln wollen. Das war mir (und wohl auch einigen anderen) vorher nicht so bewußt.

Mit einer ganz anderen Herangehensweise hat Silja Kummer „ihren“ Lokaljournalismus in Heidenheim von Oberflächlichkeit und fehlender Faszination befreit. Thomas und Wolfgang schildern das Vorgehen der Kollegin, die mit ihrer Recherche zur Verstrickung der Gemeinde in „Cross Border Leasing“ feststeckte und mit einigen Tricks schließlich die Geschichte zum Leben erweckte. Klasse Beispiel, das auch zeigt, wie wichtig Timing, Kontakte und Kollegen sind.

Katrin Langhans hat für die Süddeutsche Zeitung an den Panama und Paradies Papers mitgearbeitet. Sie ist die dritte aus dieser Redaktion die ich kennen lerne. Das Spannende: jede(r) bietet einen anderen Schwerpunkt in seiner Schilderung der Arbeit und so erhalten wir an diesem Abend Einblick in die Verarbeitung der Fakten, die Kooperation der Journalisten weltweit und vor allem über die penible Verifizierung und Verknüpfung von Fakten, Text und Quellen. 

Als Betthupferl gibt es von ihr noch Einblick in die Nachkonstruktion der Timeline des Amoklaufs im OEZ (Olympia Einkaufszentrum) München im Juli 2016. Anhand von 113.000 (im Nachhinein ausgewerteten) Tweets haben Katrin & Co die einzelnen Stufen von Panik und Beruhigung im Verlauf des Abends und der Nacht visualisiert. Sehenswert!

Nach 8 Stunden Input verstehe ich meinen Sohn – irgendwann ist einfach Schluß mit Zuhören und Lernen. Ich fühle mich wie 70.

2. Tag – eigene Recherche

Nun geht es (endlich) ans Selbermachen. Einige von uns haben eigene Themen mitgebracht, aber auch Wolfgang und Thomas helfen mit Recherche-Ideen. Minigruppen von 1-3 und versuchen anhand des Rechercheplans und – Protokolls erste Arbeitsschritte in einer systematischen Herangehensweise zu üben. Es läuft so lala. Wir finden keine These.

  1. Impuls
  2. Relevanz
  3. These
  4. Prüfen 
  5. Schwierigkeit
  6. Erweitern
  7. These ändern

Bei meiner Gruppe hilft schließlich ein kurzer Seegang, um den Knoten im Kopf zu sprengen und mit einem neuen Ansatz nach einer Stunde endlich weiter zu kommen. Also ein wenig. Denn schon die Koordination von uns dreien bedarf klarer Regeln, damit wir an Effizients zulegen und wirklich ein Thema in diesem Wust an Informationen finden. Doch dazu kommt es nicht. Mittagspause.

Peter Welcherings Thema ist „Sicherheit“. Sowohl die eigene, als auch die der Informanten/Quellen und aller Informationen. Wir verlieren ein wenig den Boden unter den Füßen – fühlen uns nach kürzester Zeit überwacht, verfolgt und zunehmend verunsichert. So tief wollte kaum einer von uns schürfen, oder doch?! Es ist super spannend auf was Peter achtet, wie er Überwachung entgeht und wie Big Brother funktioniert. In meinem Hinterkopf läuft ein Agenten-Thriller im Journalisten-Milieu… – keine Angst, nur ganz kurz.

Zum Glück ist  mir vieles bekannt – Darknet, Anonymouse, Wayback, Erase, Tor-Browser und .onion-Seiten, einmal Browser, verschiedene Verschlüsselungen und Apps – andere tun sich da schwerer. 

Und dann kommt Philipp Grüll mit dem Skandal um „Bayern Ei“. Auch hier habe ich als Südlicht einen kleinen Heimvorteil, weil ich die Story wenigstens schon mal kenne. Allerdings nur den veröffentlichten Teil. Viel spannender ist der Blick dahinter: wie kam es zu dem Thema, was waren die ersten Schritte, worauf musste geachtet werden, wie und wann war klar, das es ein Thema ist… 

Die Geschichte wurde immer größer, je weiter er (sie! – denn auch hier war natürlich wieder ein Team am Werk) bohrte. Das haben wir inzwischen alle begriffen – je mehr Informationen du gesammelt hast, desto mehr Quellen lassen sich öffnen, desto mehr Details erhältst du und desto schwieriger kann auch die Konzentration auf die Kerngeschichte werden. 

Bayern Ei war zunächst eine Print und erst danach eine Filmgeschichte  (eher ungewöhnlich). Das gibt den Fernsehleuten unter uns Hoffnung, denn gerade sie verzweifeln ein wenig bei der Vorstellung, eine Geschichte erst im Nachhinein zu bebildern. Cool ist die Weiterführung des Themas. Nicht nur in den verschiedenen Medien, sonder auch zeitlich. 2014 kam es zum Salmonelleausbruch und jetzt ist es Thema eines Untersuchungsausschusses im Bayerischen Landtag. Also ist es noch längst nicht vorbei 😉

Wir lernen unterschiedliche Quellen, den richtigen Ablauf und Suchfunktionen kennen, die wahre Bedeutung des Rechercheprotokolls (und welche Fehler wir vermeiden sollten) und immer wieder die richtigen Fragen zu stellen.

Nach gut 14 Stunden ist Schluß. Ernsthaft. Ich bin wohl doch eher 80.

3. Tag – Ausklang

Statt weiter an unseren eigenen Recherchen zu arbeiten, geht es jetzt auf unseren Wunsch um die unterschiedlichen Arten des Storytellings, also des Verpacken der Fakten, die wir zu finden hoffen. Und zwar anhand der gestern kurz anrecherchierten Themen.

So sehen wir, wie und wieweit die Kollegen gekommen sind, wo sie hängen, wie sie weitermachen wollen und was daraus werden könnte. Jede Geschichte benötigt eine eigene Sprache, eine andere Form der Spannung. Mir hilft das enorm, denn es sind „greifbare“ Sachverhalte und wir Teilnehmer sind inzwischen ein Bund von Gleichgesinnten, die einander schätzen und unterstützen. Wunderbar!

Noch mal rund 5 Stunden Input, Input, Input… kann es sein, dass ich 90 bin? Schon!

Und nun?

Ich lebe noch, beziehungsweise wieder. Es war toll (obwohl echt viel in kurzer Zeit und daher durchaus auch eine Qual 😉

Ich habe (immer) noch keinen Skandal aufgedeckt, keinen Artikel bei der ZEIT platziert oder einen Journalistenpreis gewonnen. Brauche ich ehrlich gesagt auch nicht unbedingt…

Aber ich habe einen ganz anderen Blick auf den Umgang mit Fakten, neue Wege in einer Recherche schneller voran und vor allem tiefer zu kommen und ich habe 20+ neue Kolleginnen und Kollegen kennen gelernt, mit denen ich mich über meine und ihre Recherche austauschen kann und werde 😉

Die wichtigsten Regeln, die ich verinnerlicht habe:

Ergebnisoffen zu recherchieren
Recherchewerkzeuge on und offline gezielt einzusetzen
den Schutz von Informanten und Informationen
Faktencheck in allen Varianten
je mehr Informationen ich habe, desto mehr kann ich noch bekommen
die Kreismethode einzusetzen
und ALLES aufzuheben (sagt es bitte nicht meinem Mann)

 

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