Die Pestizidlüge – André Leu über Glyphosat & Co

Glyphosat (eines der wenigen Pestizide dessen Name ein Begriff ist) hat in den letzten Jahren für Schlagzeilen gesorgt. Seine EU-Zulassung für weitere 5 Jahre 2017 hat die Bevölkerung in Deutschland (und Teile der Bundesregierung) mit Unverständnis erfüllt. Die Bürger haben deutlich Stellung gegen das weltweit verbreitetste Totalherbizid von Monsanto bezogen und auch die Bundesregierung hätte sich eigentlich bei der Abstimmung in Brüssel enthalten sollen… doch dann kam Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) und schwup – Glyphosat blieb uns erhalten. 

Und damit das Symbol eines Problems, dass genauso akut und gefährlich wie der Klimawandel ist. Leider ist dies vielen nicht bewußt und es gibt jede Menge Halbwissen rund um die konventionelle Landwirtschaft mit ihren Herbiziden, Quoten, Monokulturen, Verordnungen, Insektiziden, Förderungen – und, und, und.

Einige wichtige Mythen rund um Pestizide wie Glyphosat nimmt André Leu unter die Lupe und obwohl er sich in weiten Teilen auf die Situation in Nordamerika bezieht ist seine Argumentation schlüssig und in vielen Bereichen auch auf uns übertragbar.

Mythos 1 – Gründlich getestet

„Alle Agrargifte sind wissenschaftlich getestet, um eine sichere Verwendung zu gewährleisten“

Von rund 80.000 Chemikalien die in den USA eingesetzt werden, sind nur einige hundert wirklich getestet. Und diese Inhaltsstoffe werden ausschließlich in chemisch reiner Form, unter Laborbedingungen und vor allem als Einzelsubstanz analysiert. Dabei sind es gerade die Wechselwirkungen mit anderen Stoffen die André Leu Angst machen und die die Giftigkeit teils enorm erhöhen. Er belegt seine Zahlen mit etlichen wissenschaftlichen Studien (allein für diesen ersten Mythos weist er 84 Quellen aus).  

Mythos 2 – Sehr kleine Mengen

„Die Rückstände sind zu gering, um Probleme zu verursachen“

Genau so wenig wie „viel, viel hilft“ bedeutet „eine kleine Menge keine Gefahr“. Schon kleinste Spuren sind giftig und alle gängigen Grenzwerte beziehen sich zudem auf Erwachsene. Gefahren für Kinder und Föten werden einfach nicht berücksichtigt. Dabei sind gerade sie stark betroffen.

Außerdem wirken manche Chemikalien auf den Hormonhaushalt oder verhalten sich wie Hormone  und können sogar Veränderungen des Erbguts auslösen. 

Mythos 3 – Abbau

„Moderne Pestizide werden rasch biologisch abgebaut“

André Leu stellt klar, das die Abbauprodukte teilweise noch gefährlicher als die eigentlichen Pestizide sein können. Auch hier arbeitet er mit konkreten Beispielen, stellt Oxone und Omethoat, so wie AMPA (ein Abbauprodukt von Glyphosat) vor und belegt seine Fakten wie immer durch  internationale Forschungsergebnisse.

Mythos 4 – Verlässliche Aufsichtsbehörden

„Vertrauen Sie uns – wir haben alles im Griff“

Sicher ahnt ihr es schon… auch hier gibt es nicht nur Verdachtsmomente sondern leider auch Beweise, dass nicht alles im grünen Bereich ist. Wirtschaftliche Interessen stehen gegen Gemeinschaftliche. Und wenn Fake-News oft und laut genug wiederholt werden, werden sie zu „alternativen Fakten“.

Ein Beispiel: Pestizid heißt in Indien „Dawa“ – und das wiederum heißt „Heilmittel“. Da liegt der Schritt des Marketings für „Heilmittel für Pflanzen“ zu werben ja auf der Hand. Und viele der 600 Millionen indischen Landwirte schließt daraus, dass er den Pflanzen (und sich, der Erde, der Welt) mit dessen Einsatz etwas gutes tut.

Mythos 5 – Pestizide sind für die Landwirtschaft unentbehrlich

„Ohne Pestizide würden wir verhungern“

Jetzt aber genug schlechte Nachrichten, jetzt geht es um Alternativen. Und die wahren Kosten, die in der konventionellen, industriellen Landwirtschaft stecken (und gesteckt werden). Da muss das Umdenken beginnen. Wir müssen unsere Kraft in die richtigen Dinge stecken. In neue Anbaumethoden, denn die „moderne“ Landwirtschaft hat nicht gehalten, was sie versprochen hat.

1960 wurde in Afrika die industrielle Landwirtschaft eingeführt – nun ist die dortige Nahrungsmittelproduktion pro Kopf um 10 Prozent gesunken. 

André Leu © privat

André Leu stellt in seiner Betrachtung der Pestizidbelastung unsere Kinder in den Mittelpunkt – denn sie sind am stärksten betroffen. Jetzt und künftig. 

Er gilt als einer der führenden Experten für gesunde und zukunftsfähige Landwirtschaft, war Präsident von IFOAM und ist Gründungsmitglied von Regeneration International.

Besonders spannend

Ein Grußwort. Wirklich. Von Dr. Vandana Shiva, die nach eigenem Dafürhalten im Epizentrum des transgenen Soja-Anbaus und damit natürlich auch des Einsatzes von Glyphosat sitzt. 300 Millionen Liter jährlich.

Es sind ihre Informationen zur traditionellen Vernetzung von Monsanto und Bayer, die mich wirklich auf die Palme gebracht haben. Man fühlt sich wie in einem Spiegelkabinett – ganz gleich in welche Richtung man blickt, es scheint keinen Ausgang zu geben. 

Mein Fazit – Fünf Sterne

Ein durch und durch lesenswertes Buch, das einen natürlich traurig macht. Es zeigt wie gut die Lobbyisten und Konzerne weltweit arbeiten, benennt dabei Ross und Reiter. Ich habe zusätzliche Details erfahren, eigenes Wissen neu einordnen können  und unendlich viele Quellen-Hinweise erhalten um weiter zu lesen. 

In nur 23,1% aller Lebensmittelproben gibt es KEINE Pestizidrückstände. Mich wundert das leider genauso wenig, wie die multiresistenten Keime, die man nun in unseren Gewässern gefunden hat. Leider. 

Aber André Leu macht (nicht nur im letzten Kapitel) Mut. Er zeigt nicht nur Wege aus dem landwirtschaftlichen Dilemma, sondern gibt allen fundierte Argumente (ihr wisst – Fakten 😉 die Grundlage jeder guten Auseinandersetzung ) gegen die Weiterführung der konventionellen Landwirtschaft an die Hand. Das ist wichtiger als manche vielleicht denken mögen 😉

Also – holt euch das Buch und lest es. Es sind gerade die kleinen Beispiele und Zahlen, mit denen man bei einer Diskussion punkten kann.

Und Glyphosat?

Wird uns ganz sicher noch eine ganze Weile begleiten. Aber das finde ich  nicht nur schlecht – schließlich ist es ein Synonym für den Wahnsinn des gegenwärtigen Systems. Und es reicht ganz sicher nicht aus Glyphosat zu verbieten – wir brauchen eine zukunftsfähige Landwirtschaft die nachhaltig (sorry – aber das ist einfach der richtige Begriff, wenn auch inzwischen sehr strapaziert), zukunftsorientiert und schonend mit den Ressourcen der Erde umgeht.

oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH, 2018

DIE PESTIZIDLÜGE 

Wie die Industrie die Gesundheit unserer Kinder aufs Spiel setzt

von André Leu

Übersetzung aus dem Englischen: Sonja und Naemi Schumacher

Satz und Layout: Tobias Wantzen, Bremen
Korrektorat: Maike Specht
Lektorat: Bernward Geier; Laura Kohlrausch, oekom verlag
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3962380137

Ich danke dem Verlag für die Zusendung eines kostenlosen Rezensionsexemplars und die Bereitstellung des Covers und Autorenfotos.

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