Erstaunlich, wie viel Natur in der heutigen Landwirtschaft möglich ist. Wenn man sie lässt. Wie hier am Kaiserstuhl. Endlich.
Natürlich nicht überall, aber der Großteil der Winzer hat inzwischen begriffen, dass ein gesundes Ökosystem eine wichtige Voraussetzung für guten Wein ist. Und zwar nicht nur die Biowinzer!
Der Kaiserstuhl
Wir sind im Süden Baden-Württembergs, einem Bundesland, das für seine Sparsamkeit und Ordnungsliebe berühmt ist. Doch die Weinberge durchweht ein neuer Geist. Ordnung ist nicht länger das Mass aller Dinge – doch der Weg hierher war weit.
Als in den 1960/1970er Jahren bei der Rebflurbereinigung der Kaiserstuhl von unzähligen kleinen Terrassen mit kleinen Tälern, Hügeln und Hohlwegen zu großen zusammenhängen Terrassen umgestaltet wurde, starb ein ganzes Ökosystem. Ohne die Flurbereinigung hätte es wahrscheinlich bald keine Winzer mehr hier gegeben, zu schwierig waren die Arbeitsbedingungen und das Wegenetz war nicht nutzbar – so gab es allerdings verschiedene Tiere und Pflanzen nicht mehr, das Klima veränderte sich und die Winzer kämpften mit neuen, anderen Problemen.
Neue Wege
Mittlerweile sind viele Wunden verheilt und neues Leben ist eingezogen. Nicht nur zwischen den meisten Rebstöcken findet man nun Wildpflanzen statt nacktem, freigemähten und gejätetem Boden. Denn der ist auf den glatten Terrassenflächen bei einem ordentlichen Regenguss ganz schnell seine wertvolle Humusschicht los.
Manche Winzer setzen gar auf „Umkehrerziehung“ – also ein freieres Wachsen mit weniger Laubarbeit an den Rebstöcken selbst.
Beim Umkehren werden die Sommertriebe nicht aufgeheftet, sondern lediglich eingekürzt. Dies geschieht erst beim Hängen der Triebe, also relativ spät im Jahr. Mit der Entwicklung der Trauben hängen die Triebe deutlich abwärts, daher die Bezeichnung „Umkehr“. Wen es interessiert – beim Landwirtschaftlichen Wochenblatt ist es gut erklärt 😉
Zusätzlich pflanzen die Winzer Wicken und andere Leguminosen um ohne Kunstdünger Stickstoff in den Boden zu bringen. Das sieht wild und wunderschön aus.
Kräutervielfalt
Die Hänge und Wegränder überbieten sich an verschiedensten Pflanzen und Pflänzchen. Viel davon sind nicht nur farbfroh, sondern auch durchaus lecker und nützlich. Sie sind perfekt für alle Arten von Insekten, Schnecken und Kriechtieren und erhöhen als Nahrungsangebot die Biodiversität. Bei einer Untersuchung an den Lösswänden des Kaiserstuhles wurden allein 82 verschiedene Bienenarten und 78 Tagfalterarten gezählt. Tendenz leider fallend.
Dost, Wilder Majoran, Oregano
Ja, was denn nun? Eine einzige Pflanze mit so vielen Namenn? Ja (und es sind noch viel, viel mehr) – nur wer sich des Lateins bedient, ist einigermassen sicher: dies ist Origanum vulgare. Dahinter verbirgt sich Dost bzw. wilder Majoran und auch Oregano (der blüht nämlich rot-rosa). Die Pflanze ist winterhart, zweijährig und wächst wild.
Der echte Majoran blüht hingegen weiß, ist einjährig, nicht winterhart und hat glatte Blätter. Er wird Origanum majorana genannt und ist eine Kulturpflanze.
Oregano (also wilder Majoran) ist übrigens intensiver im Geschmack als echter Majoran 🙂
Und ihr müsst natürlich auch bedenken, dass diese Pflanzen in den unterschiedlichsten Gegenden genutzt wurden und da haben sich dann auch viele verschiedene Namen verbreitet… und gerade wenn sie der gleichen Gattung angehören (also Origanum), werden die Namenskreationen manchmal verwirrend.
Löss – hart und weich zugleich
Es ist der Löss, der die biologische Vielfalt im Kaiserstuhl von unten unterstützt. Löss setzt sich aus feinsten Körnchen von Sand (Quarz) und Kalk zusammen und wurde nach den Eiszeiten hier abgelagert, vor allem nach der Letzten. Die Gletscher malten das Gestein der Alpen, der Rhein brachte sie hierher und der Wind wehte sie auf die Hänge des ehemaligen Vulkans.
Man kann den Löss einerseits ganz leicht mit den Fingern zerreiben, er zerfällt in feinen, pulverigen Staub. Stollen und Höhlen sind leicht zu graben und Hohlwege bilden sich durch Abnutzung und Abschwemmung durch Regen. Andererseits ist der „gewachsene Löss“ – also der, der sich hier über Jahrtausende abgelagert und verdichtet hat – enorm stabil und teils bis zu 40, 50 Meter hoch.
Vor allem die Gegensätze zwischen schattigen und sonnigen, trockenen und feuchten, windigen und windstillen Plätzen machen die Besonderheit des Lebensraumes „Hohlweg“ aus. Charakteristisch sind hier Pflanzen wie Hopfen, Waldrebe, Berberitze und Pfaffenhütchen. An den offenen Böschungen wachsen Anemonen, Sonnenröschen, Gamander und Kugelblumen.
Bienenfresser – vom Feind zum gefährdeten Liebling
Nein – ich habe leider keinen Bienenfresser sehen können (werde aber meinen nächsten Besuch im Kaiserstuhl so planen, dass ich das nachholen kann…). Denn die sind wirklich schön 😉
Was ich gesehen habe, waren die Höhleneingänge der Bienenfresser, die diese in die Steilwänden aus Löss graben. Dahinter liegen teils meterlange Tunnel und schließlich auch eine Höhle mit dem Nest.
„Bienenfresser“ oder auch „Bienentöter“, wie sie die Menschen hier am Kaiserstuhl nannten, galten früher als Fressfeinde. Bienen produzieren Honig, eine süße Köstlichkeit, die die Menschen nicht missen wollten. Und so jagten sie die kleinen bunten Vögel unerbittlich…
Nach der Rebflurbereinigung galt der Bienenfresser als ausgestorben. Zumindest am Kaiserstuhl. Seit 1990 breiten sich die kleinen bunten Vögel, die in Kolonien leben, am Kaiserstuhl wieder aus. Jetzt lebt hier das größte Brutvorkommen nördlich der Alpen.
Und sie sind inzwischen zu den heimlichen Lieblingen von Einheimischen und Gästen geworden. Es gibt sogar einen 16 Kilometer langen Bienenfresserpfad von Ihringen bis Königschaffhausen.
Schneckentrick
Meine Liebe zu Schnecken hat mich mal wieder eingeholt: der Kaiserstuhl zählt zur heißesten Region Deutschlands und weist bis zu 1800 Sonnenstunden jährlich auf. Das sind noch mal mehr als im sonnenreichen Oberrheingraben. Da kann man sich natürlich wie in einem Ofen vorkommen (und wenn der nicht im Elsass oder bei mir steht, fände ich das verschenkt).
Die Schnecken (hier eine Märzenschnecke) haben einen Trick – sie hängen sich Mittags an höhere Blätter statt auf dem heißen Boden zu bleiben. Dort ist es luftiger und sie entgehen den extremen Temperaturen 😉
Weitere Geschichten vom Kaiserstuhl und aus dem Schwarzwald:
- Kulinarischer Kaiserstuhl – Essen auf Rädern Deluxe
- Am Anfang war das Feuer
- Traditionelle Gerichte aus dem Schwarzwald 2.0
- Wandlungsfähiger Flammkuchen
Mit freundlicher Unterstützung von Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg*, die mich zu einer Pressereise in den Schwarzwald eingeladen haben.
Mein besonderer Dank geht an Sannah Mattes und Dr. Martin Knauer von Tourismus Baden-Württemberg und Gaby Baur von Schwarzwald Tourismus*.
„Man sieht nur, was man kennt“ hat sich natürlich auch am Kaiserstuhl wieder gezeigt. Daher danke ich Hans-Peter Linder vom Winzerhof Linder* für seine charmante, kompetente Führung.
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Dieser Artikel enthält Links zu Produzenten und persönliche Empfehlungen von mir. Ich bin dafür zwar weder bezahlt noch beauftragt worden, doch da ich Produkte nenne, muss ich dies als Werbung kennzeichnen.
3 Antworten auf „Naturparadies Kaiserstuhl – von Reben, Kräutern und Bienenfressern“