Sehenden Auges auf den Abgrund zuzufahren, scheint in unserem Land gerade sehr beliebt zu sein. Ganz gleich wohin man schaut: Klima, Bahn, Politik. Wird schon irgendwie gut gehen. Oder eben auch nicht. Aktuelles Beispiel: die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags – oder das, was davon übrig blieb – spielte sich genauso ab, wie von einigen Experten vorhergesehen. Und gewarnt. Also Chaos mit Ansage.
Der nächste mögliche Abgrund: der Lokaljournalismus
Politiker (fast) aller Parteien wissen und bestätigen immer gern die Bedeutung von Journalismus für Gesellschaft und Demokratie. Möglichst divers soll er sein, möglichst nah bei den Menschen, möglichst gut erreichbar. Gerade im Lokalen, auf dem Land. Es ist wichtig zu wissen, was geschieht, wer was macht und wer wofür steht. Internationale Studien belegen, dass fehlende Berichterstattung zu Demokratieverdrossenheit führt. Natürlich gibt es Menschen, die die entstehenden Informationslücken füllen. Populisten fluten diese Lücken gezielt mit kostenlosen Blättchen. Alternativen Fakten oder auch klassische Propaganda frei Haus. Jan Böhmermann hat es in einer Sendung zusammengefasst, „Bedrohte Art: Lokaljournalismus„.
„Die Stärke unserer Medienlandschaft liegt in ihrer Vielfalt aus öffentlich-rechtlichem Rundfunk, privaten Medien und Verlagen und gemeinnützigem Journalismus.“ So eröffnete Bundespräsident Steinmeier im April 2024 die Mitteldeutschen Medientage mit seinem Videogruß. Und ist der Realität damit locker eine Nasenlänge voraus – denn der „gemeinnützige Journalismus“, den er hier ganz gleichwertig als Bestandteil der Medienvielfalt aufzählt, hat bislang in Deutschland kein sicheres Fundament. Der Begriff „Journalismus“ fehlt in der Abgabenordnung des Bundesfinanzministeriums.
Immer noch. Im Koalitionsvertrag steht: „Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus“. Nur leider tut sich nichts.
Da fliegt der Spatz – wie uns die Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus einfach davon flog
Das Forum gemeinnütziger Journalismus kämpft seit vielen Jahren für die Anerkennung und Rechtssicherheit. Als die jetzige Regierung im Koalitionsvertrag diese zusagte: „Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus“, knallten zwar nicht die Sektkorken, aber der Kühlschrank wurde doch wenigstens mal mit entsprechenden Flaschen bestückt.
Enttäuschenderweise führten etliche Gespräche, Diskussionsrunden und Aufforderungen nicht zum Ziel. Schließlich wurde aus dem Bundesfinanzministerium der Kompromiss unterbreitet, „Journalismus“ unter „Volksbildung“ im Anwendungserlass zu verankern. Allein: die Länder, die zunächst Zustimmung signalisierten, gingen diesen Weg nicht mit. Und der Spatz war weg.
Schließlich ist ein Anwendungserlass kein Gesetz und daher wäre dies immer nur ein erster Schritt zur Rechtssicherheit. Claudia Roth hatte bei der Übergabe der über 50.000 Unterschriften vor der Sommerpause darauf hingewiesen, dass damit doch erstmals überhaupt der Begriff in der Abgabenordnung auftauchen würde … tja – hat sich aber nicht realisiert.
Doch warum ist die Rechtssicherheit so wichtig?
Gemeinnützigkeit bedeutet zwar, dass keine Gewinnerzielung im Vordergrund des Handelns stehen soll, aber nicht, dass die Journalisten kostenlos arbeiten. Es braucht also Geld. Und das kann einerseits über Spenden von Lesern, aber in größerem Maß (hoffentlich) von Stiftungen beigesteuert werden. Mehr als 20.000 Stiftungen in Deutschland fördern Kunst, Kultur und Demokratie. Da in den meisten Satzungen festgelegt ist, dass nur gemeinnützige Projekte unterstützt werden können, ist Journalismus derzeit automatisch raus.
Wenn gemeinnütziger Journalismus in der Abgabenordnung als Zweck aufgelistet ist, könnten die Stiftungen ihn unterstützen 😉
Nochmal zur Erinnerung: wir sprechen bei den meisten Projekten um Lückenfüller, die im Lokalen die Stange des Journalismus hochhalten: RUMS in Münster, Relevanzreporter in Nürnberg, KONTEXT in Stuttgart, Karla in Konstanz oder auch bloq für Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg.
Gesetzentwurf und Siegel (für weniger Bürokratie)
Wer gemeinnützigen Journalismus rechtssicher machen will, muss nun also doch an der Anwendungsordnung AO Hand anlegen. Der Gesetzentwurf liegt vor: „25. die Förderung des Journalismus durch die Förderung, Herstellung und Verbreitung journalistischer Inhalte, die der parteipolitisch neutralen Information, Aufklärung und Meinungsbildung der Allgemeinheit dienen.“ Erarbeitet wurde er vom Forum gemeinnütziger Journalismus und der Petitionsplattform innn.it.
Das Forum hat zusätzlich ein Siegel entwickelt, mit dem eine erste Beurteilung der Gemeinnützigkeit erfolgt. Kriterien und Leitlinien sind neben Pressekodex, Transparenz und Selbstlosigkeit auch die Abgabenordnung des Bundesfinanzministeriums. Damit schließt sich der Kreis.
Fakten zu gemeinnützigem Journalismus
- Gemeinnütziger Journalismus tritt nicht in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Medienangeboten. Er lebt – insbesondere im lokalen Raum – von der Unterstützung der Community und liefert unabhängige Informationen.
- Pressekodex und Transparenz stärken die Unabhängigkeit von Geldgebern.
- Die Staatsferne ist gesichert. Finanzprüfungen beziehen sich auf wirtschaftliche Fragen, nicht auf redaktionelle Inhalte. So besteht keine Abhängigkeit zum Staat.
- Propagandamedien haben kaum Chancen, als gemeinnützig anerkannt zu werden. Die Abgabenordnung regelt, dass nur Organisationen gefördert werden, die dem Gemeinwohl dienen und die Völkerverständigung unterstützen. Missbrauch kann überprüft und der Status entzogen werden.