Wandern im Watt – unerwartet wunderbar

Wattwandern ist mehr als eine Urlaubsabwechslung für Familien. Es sind häufig die kleinen, scheinbar normalen Dinge, die uns wirklich entschleunigen und viel Freude bringen können. Wie eine Wanderung durchs norddeutsche Watt an einem Frühsommertag …

Wandern im Watt

Der Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer ist seit 1992 Deutschlands kleinstes Biosphärenreservat und bildet gemeinsam mit dem Niedersächsischen und dem Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer das Unesco-Welterbe „Naturerbe Wattenmeer“. Es umfasst unterschiedliche Arten von Wattflächen, Priele, die Düneninseln Scharhörn und Nigehörn, Salzwiesen und die Insel Neuwerk. 30 Menschen leben dort mitten im Watt.

Die „Small Five“ im Watt – Wattwurm, Strandkrabbe, Herzmuschel, Nordseegarnele und Wattschnecke

Es gibt nicht viele unterschiedlichen Arten, die sich diesen sehr speziellen Lebensraum erobert haben, aber wem es hier gefällt, der holt seine ganze Familie dazu. Daher gibt es dann sehr, sehr viele von einer Art auf einem Fleck.

„Von weltweit 100.000 Schneckenarten leben nur zehn in unserem Wattenmeer und zwei in den Salzwiesen. Bei den Muscheln sind es 15 von 20.000 Arten, also ebenfalls nicht mal ein Promille des weltweiten Artbestandes. Trotzdem spielen die Mollusken, übersetzt „Weichtiere“, eine zentrale Rolle im Ökosystem Wattenmeer.“
Quelle: Rainer Borcherding, Wattenmeer – 2018-1

In Gegensatz zu den „Big Five“ der Savanne (Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard) bezeichnen die Liebhaber und Förderer die charakteristischsten und wichtigsten Tiere des Watts als die „Small Five“. Sie sind eher klein und wahrscheinlich deutlich ungefährlicher als die Big Five – aber deswegen sind die Kleinen keinesfalls uninteressanter.

Wattwurm – der Sandfresser

Zuerst findet man nur seine Spur. Die aber dafür um so häufiger – überall türmen sich die charakteristischen Spaghetti-Haufen im Watt auf. Der Wattwurm lebt in einer U-förmigen Röhre – an einem Ende frisst er das Sediment, verdaut es und liefert es als Sandhäufchen am anderen Ende der Röhre wieder ab.

Es sind also die Ausscheidungen des Wurms, der alle Nährstoffe und Organismen aus dem gefressenen Sand verdaut hat. Sand in seiner puren Form 😉

Wattwurmröhre ohne Wurm – noch ein guter Grund, wiederzukommen

Wer man tatsächlich einen Wurm sehen will, muss zur Grabgabel greifen und wissen, wo man ansetzt: am vorderen Röhrende, da, wo ein kleiner Trichter zeigt, dass Sediment nach unten rutscht.

Strandkrabbe – fressen und gefressen werden

Sie zählt für Biologen zur ökologischen Schlüsselart – als wichtige Futterquelle für Vögel und Fische und mit tatkräftiger Unterstützung ihrer zahlreichen Artgenossen selbst als hungriger Verwerter von rund 10 % der Biomasse im Watt –  Würmer, Muscheln, Schnecken, Algen – alles frisst sie in großen Mengen.

Selten sieht man völlig intakte Krabben – den meisten fehlt ein Stückchen Bein, ein Arm oder auch mehr. Die Gliedmasse wachsen in der Regel wieder nach und können sogar nach etwa der vierten Häutung die Ursprungsgröße erreichen. Wenn nicht schon wieder ein Fressfeind ein Stückchen abgeknapst hat.

Herzmuschel

Herzmuscheln sind die häufigste Muschelart der Nordsee und bevorzugen das Mischwatt, in das sie sich bei Ebbe einbuddeln. Allerdings nicht tief. Sie sind durch ihre verhältnismäßig dicke, gerippte Schale ganz gut geschützt und stehen nicht bei allen Vögeln auf top eins des Speisplans. Also bei den meisten nicht – Austernfischer sollen an Wintertagen bis zu 300 Herzmuscheln fressen und Eiderenten und Silbermöwen können bis zu zwei Zentimeter große Muscheln unzerkaut herunterschlucken. Den Rest der Arbeit übernimmt dann der muskulöse Magen.

Weiter Muscheln im Watt: Miesmuscheln (dunkel, länglich – kennt man vom Italiener mit Tomatensoße), Schwert-, Scheiden- oder Messermuscheln – die findet man in gut sortierten Fischgeschäften. Drei Sorten davon sind heimisch, aber die größte Menge stammt aus Nordamerika. Also deren Vorfahren. Sie wurden wahrscheinlich in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Larven im Ballastwasser eingeschleppt und haben sich ungezügelt ausgebreitet.

Das längliche sind Messer – oder Schwertmuscheln

Seltener sind Schlicksauger – oder auch große Pfeffermuscheln, die verhältnismäßig tief im Schlickwatt leben. Schlicksauger haben relativ dünne, flache Schalen, die hell sind. Durch den schwarzen Schlickboden färben sie sich jedoch häufig grau-blau bis schwarz.

Könnte die Schale eine Schlicksaugermuschel sein

Außerdem findet man die pazifische Auster, die europäische Auster ist durch Überfischung schon seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts ausgestorben. Manchmal findet man noch Schalen.

Pazifische Auster im Watt

Nordseegarnele – also für Norddeutsche „Krabbe“ oder „Granat“

Denn unter einem Garnelenbrötchen verstehen wir hier im Norden was ganz anderes. Es ist das „Krabbenbrötchen“, das uns lockt!  Dabei sind Krabben biologisch korrekt rundliche Krebse mit Scherern, die seitwärts laufen.

Die Nordseegarnele ist ein (von allerlei hungrigen Mitbewohnern) gern gesehener Sommergast im Watt. Im Herbst wandert sie ins Tiefwasser zurück, nutzt aber die Wärme des flacheren Gewässers in der warmen Jahreszeit zum Wachstum im Kindesalter und für die eigene genussvolle „Sommerfrische“.

Die große Zahl der Nordseegarnele macht sie sowohl als Räuber, als auch als Beute bedeutsam fürs Watt. Und als Nordseekrabbe kulinarisch bedeutend.

Schlick- oder Wattschnecke

Sie ist die heimliche Rekordhalterin unter den Small Five: Die Wattschnecke wird leicht übersehen oder für ein Sandkorn gehalten. Sie ist die Kleinste, die schnellste Schnecke der Welt und die Lebensart, die im Watt am häufigsten vorkommt. Auf einem Quadratmeter findet man bis zu 150.000 von ihnen. Da sie nur drei bis sechs Millimeter groß ist, funktioniert das mit den Nachbarn erstaunlich harmonisch.

Schlick- oder Wattschnecke
Schlick- oder Wattschnecke, die kleinste Schnecke des Wattenmeers

Die schnellste Schnecke ist sie, weil sie durch einen Trick: „Surferschnecke“ wird sie unter Kennern der Szene genannt. Denn sie kann sich an die Wasseroberfläche heften und lässt sich von den Gezeiten so elegant surfend mitnehmen.

Leerer Laichballen der Wellhornschnecke

Übrigens, die größte im Wattenmeer (noch) lebende Schnecke ist die Wellhornschnecke, von der ich allerdings nur einen leeren Laichballen gefunden habe.

Ich behaupte ja, dass man nur sieht, was man kennt – im Watt hat das nochmal eine ganz eigene Dimension, denn während ich dies schreibe und recherchiere, fällt mir erst auf, was ich alles gesehen habe, aber gar nicht zuordnen konnte. Daher mein Tipp: geht nicht allein ins Watt, gönnt euch eine Führung!

Weiteres Leben im Watt – Meeresgemüse

Auch Vegetarisches findet sich im Watt, wie Meersalat – eine Grünalge, die frisch und getrocknet angeboten wird. Oder hier bei Ebbe gefunden werden kann. Doch davor schrecken viele zurück und ich muss gestehen: so nah an der Elbe bin ich auch nicht sicher, ob ich sie sammeln und essen würde.

Meersalat – eine Grünalge

Das Algen in der Ernährung künftiger Generationen mit großer Wahrscheinlichkeit eine bedeutende Rolle spielen können, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Braun und Grünalgen aus dem Watt sind aber für unsere Teller eher die Ausnahme. Dennoch ist es natürlich spannend, sich damit zu befassen und auch einen Blick auf andere Wattregionen zu werfen: Küstengrün kann was.

Blasentang ist ebenfalls essbar. Wird aber eher für Tiernahrung und als Nahrungsergänzung genutzt

Der Blasentang ist leicht erkennbar. Die kleinen Hohlräume an den Blattspitzen sind mit Gas gefüllt. Dies treibt auf und die Algen steht aufrecht im Wasser. So wiegt sie sich mit der Strömung und bekommt mehr Licht ab.

Elbmündung

Besonders spannend ist der Flutsaum der Nordsee. Dadurch, dass die Elbe hier bei Cuxhaven in die Nordsee mündet, fahren die riesigen Schiffe einem gefühlt „direkt über die Füße“. Der rund 10 Kilometer lange Leitdamm wurde bereits in den 1930er Jahren gebaut, damit „das Watt nicht in die Elbe läuft“ erklärt uns unsere Wattführerin. Im Laufe der Jahre wurde er verlängert und bis 1975 Lücken geschlossen. Der Damm verläuft in einer Kurve inzwischen von der Kugelbake in Cuxhaven bis zur Sandbank „Mittelgrund“ in der Außenelbe.

Flutsaum Hamburgisches Wattenmeer bei Cuxhaven
Große Schiffe in „freier Wildbahn“ im Flutsaum des Hamburgischen Wattenmeers bei Cuxhaven

Genau wie die Elbvertiefung, ist auch der Leitdamm nicht unumstritten. Schließlich greifen wir Menschen mit derartigen Maßnahmen in die sensiblen Abläufe der Natur ein und verändern sie (meist) zu Gunsten der Wirtschaftlichkeit. Nicht immer haben die Entwickler dabei alle Folgen im Blick – so ist die Trockenlegung des Watts zur Landgewinnung zwar nicht erfolgt, aber trockener und höher sind Dösener und Duner Watt dadurch wohl geworden.

Für uns war er aber vor allem ein toller Anblick und ein beeindruckendes Erlebnis.

Mit freundlicher Unterstützung von TourismusMarketing Niedersachsen GmbH*die mich zu einer kulinarischen Pressereise nach Cuxhaven eingeladen hat.

Mein besonderer Dank geht an Renate Rebmann (die leider die Früchte ihrer Planung nicht genießen konnte) und Pia Spitzenberg, die diese Reise mit viel Gelassenheit leitete und auf meinen Wunsch fotogen barfuß durchs Watt wandelte.

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Dieser Artikel enthält Links zu Produzenten und persönliche Empfehlungen von mir. Ich werde dafür nicht bezahlt und niemand nimmt Einfluss auf meine Texte und Tipps. Doch zur höchstmöglichen Transparenz lege ich diese Verbindung hiermit offen.

Einmal war ich tatsächlich vorher schon im Watt unterwegs und davon begeistert (hatte ich irgendwie vergessen) – 2019 auf Amrum.

 

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