Grenzübergang Eisfeld – eine lebendige Gedenkstätte

Der 3. Oktober ist der Tag der Deutschen Einheit. Seit 34 Jahren. Es ist der Tag, der das Ende der DDR durch ihren offiziellen Beitritt zur Bundesrepublik vollendete. Eher selten wird er genutzt, um sich mit der Geschichte Deutschlands auseinander zu setzen. Dabei macht es genau an diesem Tag Sinn (und Spaß) sich damit zu beschäftigen – vor allem, wenn der Grenzübergang Eisfeld direkt vor der Tür liegt. Und das scheinen nicht nur wir so gesehen zu haben, denn der Andrang zur Führung am Grenzturm Eisfeld/Rottenbach mit Heiko Haine ist erfreulich. Und seine Erzählungen authentisch, erhellend und berührend.

Deutsch-Deutsche Grenze

Knapp 1400 Kilometer lang war die Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin bleibt dabei als Grenzstrecke mal außen vor. Thüringen hatte mit 765 Kilometern das längste Stück Grenze – von Niedersachsen über Hessen bis Bayern.

Es ging bei Mauerbau und Grenzschutz nicht wie propagiert, um den Schutz der DDR vor dem Zustrom aus dem Westen – das Gegenteil war der Fall. Von den fast 4 Millionen Menschen, die die DDR im Laufe ihrer Existenz verließen, taten dies nur etwa 500.000 legal. Der Großteil floh. Bis in die 50er Jahre war das auch noch nicht so schwer, deswegen wurde dier Ministerrat der DDR aktiv.

Stacheldraht

„Im Jahr 1952 wurde die Grenze zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen nahezu unüberwindlich. Die DDR sperrte die Grenze mit strengen Maßnahmen, um die Fluchtbewegung einzudämmen. Unter Federführung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wurden Sperrzonen und Kontrollstreifen direkt an der Demarkationslinie eingerichtet und die dem MfS unterstehende Grenzpolizei verstärkt. Acht von zwölf Straßengrenzübergängen wurden geschlossen. Südthüringen war nun vollständig abgeschnitten.“
Quelle: Bundesarchiv.de

Die Grenze war dicht und wurde immer weiter aufgerüstet: vom einfachen Zaun hin zu zum Todesstreifen mit Selbstschussanlagen. Bewacht von 30.000 Grenzsoldaten.

Kolonnenweg beim Grenzübergang Eisfeld

1972 unterzeichneten die Staatssekretäre Egon Bahr (BRD) und Michael Kohl (DDR) einen Verkehrsvertrag, der Reisen zwischen den beiden Ländern wieder vereinfachen sollte. Es wurden vier zusätzliche Übergänge geschaffen. Einer davon zwischen Eisfeld und Coburg. Dazu wurde Eisfeld auch aus der 5-Kilometer-Sperrzone genommen.

Ehemaliger Grenzübergang Eisfeld-Rottenbach

Wer erstmals von der A73 in Eisfeld-Nord abfährt, mag sich wundern: der Blick fällt auf eine große Tankstelle mit Parkplatz, einige Mauerstücke (Berlin ist 400 Kilometer weit weg) und einen frisch hergerichteten Grenzturm. Eine ungewöhnliche Kombination, selbst an der ehemaligen Grenze.

Mauerstücke und Grenzturm in Eisfeld
Die Mauerstücke stehen erst seit 2019 hier. Sie stammen aus Berlin, vom Potsdamer Platz.

Gedenkstätten arbeiten mit dem, was vor Ort ist. Nach meiner persönlichen Erfahrung hat irgendwie jede ihren ganz eigenen Ansatz. In Point Alpha (Rhön) sind das Fulda Gap und das Lager der Amerikaner auf der anderen Seite der Grenze Schwerpunkt. In Schifflersgrund (Eichsfeld) gibt es einen genaueren Blick auf Technik und die Zwangsumsiedlung, die unter dem Kodewort „Ungeziefer“ Menschen aus der Grenzregion vertrieben und ganze Orte ausradierte. Hier in Eisfeld (das fällt mir aber erst recht spät auf), ist es die Flucht und was das Eingesperrt sein mit den Menschen macht.

Da alles immer mit allem zusammenhängt, erfahren wir gegen Ende der Führung, warum das hier so ist. Es hängt mit dem Leiter des Museums in Eisfeld, Heiko Haine zusammen …

Kostenaufstellung im Grenzmuseum Schifflersgrund

Natürlich kann man in all diesen Gedenkstätten einen Rundumschlag zu Aufrüstung, Hintergründe, menschliche Schicksale erfahren – aber ich finde diese (von mir persönlich eingeordneten) Unterscheidungen hilfreich, wenn man überlegt, wo man sich (vielleicht als Familie) inspirieren lassen möchte und dies nicht nur an der kürzesten Entfernung festmachen will 😉

Die meisten Gedenkstätten sind inzwischen auf Selbsterkundung umgestellt. Mit mehr oder weniger audiovisueller Unterstützung und interaktiven Schauelementen, vermitteln sie wie es sich wahrscheinlich aussah und anfühlte. Doch eine persönliche Führung wie die heutige ist nach meinen Erfahrungen immer eindrücklicher und ihr solltet die Gelegenheit unbedingt nutzen.

Das rote Telefon

Als nach dem Bau der Grenzanlagen an der Innerdeutschen Grenze ein amerikanischer Jeep aus Versehen vom Amihügel in den Graben rollte „und dann in den Grenzzaun sprang“, wie Heiko Haine berichtet, war dies eine durchaus ernste Grenzverletzung durch Alliierte. Niemand war zu diesem Zeitpunkt an Eskalation interessiert. Eine Lösung musste her, der Wagen aus dem Zaun raus. So meldeten die Grenzsoldaten – von Eisfeld nach Suhl, nach Erfurt, nach Ostberlin, nach Westberlin, nach Coburg. Diese Art der Meldung und Problembeseitigung dauerte 2 Monate.

Feldtelefon in den Westen
Nehmt den Hörer ab und lauscht, wenn ihr die Gedenkstätte besucht

Wem die Idee kam, dass es zwischen den Grenzposten einen kurzen und vor allem schnelleren Dienstweg geben sollte, ist nicht sicher. Zum direkteneren Austausch über die 100 Meter gab es danach ein Feldtelefon. Um 8:45 startete der Tag mit einem kurzen Kontrollanruf. Selbstverständlich mit fester Textvorgabe. Zu viel Menschliches war nicht erwünscht. Im Osten wurde das Telefonat zudem aufgezeichnet – Kontrolle war schließlich alles – einmal wöchentlich wurde diese Aufzeichnung abgehört und dann gelöscht.

Heiko Haine und der Grenzübergang

Seine NVA Uniform passt Heiko Haine noch. Nach über 30 Jahren. „Die mussten aber ganz schön frieren“, raunt ein Besucher. An einem schmuddeligen Oktobertag wie heute zweifelt man sofort (und wahrscheinlich zurecht) beim Anblick des dünnen Stoffes an dessen Wärmepotential.

Heiko Haine zeigt ein Foto des ehemaligen Grenzübergangs Eisfeld Rottenbach
Wo jetzt Bäume und Büsche sind, war ab 1972 eine gerodete Fläche

Statt den Wachturm zu erklimmen, nimmt uns Haine erstmal mit ins Grüne Band, um mit zahlreichen historischen Fotografien ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie es hier mal aussah. Und sich anfühlte.

1972, als die „Grenzübergangsstelle GÜST“ von Thüringen nach Bayern hier entstehen sollte, gab es nur Hügel, Büsche und Wald. Obwohl die Bedingungen schwierig waren, rodete die DDR das Gelände in Rekordzeit und überrumpelte die BRD damit. Der Wunsch nach Grenzöffnung war wahrscheinlich leider unterschiedlich hoch.

Obwohl dieser Grenzübergang eher klein war, nutzen ihn im ersten Jahr eine Million Bürger.  Der jetzige Turm wurde übrigens erst 1982 gebaut. Der Ursprungsturm war im Verlauf von 10 Jahren zu niedrig, um in den Westen zu blicken. Der Blick auf die „Amihöhe“ (die von der anderen Seite der „Eisfelder Blick“ hieß) wurde durch die wachsenden Bäume auf der Westseite eingeschränkt. Der Hügel, den die Alliierten als Aussichtspunkt nutzen (näher an die Grenze durften sie nicht fahren) verschwand im Baumgrün.

Das Grüne Band – wie hier beim ehemaligen Grenzübergang Eisfeld – hat die Natur alles zurückgewonnen

So wie auch jetzt wieder. Da hilft der höhere Turm nicht, zumal ja auch im Osten seit 1989 nicht mehr gerodet wird. Im Turm (den ich mir nochmal in Ruhe anschauen werde) berichtet Heiko Haine von sich, von seinen Unsicherheiten und Ängsten, die ihn schon als Jungen ratlos machten. Warum war die Polizei bei ihm daheim? Jede Woche.

Einblicke und Erinnerungen

Erst als er Einblick in seine Stasi-Akten bekam (die nicht viel hergaben) und die seines Vaters einsehen konnte, wusste er, was los war. Sein Vater hatte mit 13 versucht zu fliehen und war vom Bundesgrenzschutz (ohne Pass und in der BRD unmündig) zurückgebracht. Ein Jahr saß sein Vater als dreizehnjähriger Junge wegen Republikflucht im Gefängnis. Unvorstellbar heute. Zum Glück.

Kolonnenweg bei Heid

Als Heiko Haine dann berichtet, wie er selbst in diesem Alter einen Freund nach Heid nach Hause gebracht hatte, verstehen alle, was ihn belastet. Man kennt die Stelle schließlich auch. 

„Hinten am Heiderdeich, am See, da kommt man unten auf die Heiderstraße. Auf diesem Stück gab es früher keine Betonplatten, da gab es einen Streifen, der war 2 Meter breit und mit Sand gefüllt. Jedes Mal wenn da ein Fußstapfen drin war – und der Kolonnenweg ist einmal in der Stunde kontrolliert worden – ist Großalarm ausgelöst worden. Dann sind alle ausgerückt. Da wo heute die Grenzkompanie nicht mehr steht – das ist übrigens die Stätte des Eisfelder-Bauhofes – alle andere waren Streu… im Unterland, dann wurden die zusammengezogen und das ganze Gebiet ist akribisch abgesucht worden.“ Es herrschte damals Schießbefehl bei Fluchtversuch.

Termin: am 9.10. ist die Gedenkstätte in Eisfeld seit 10 Jahren geöffnet. Heiko Haine wird von 13 bis 16 Uhr vor Ort sein. 

„Um das Gefühl der Republikflucht meines Vaters ein bisschen nachempfinden zu können, habe ich den Kellerraum der Gedenkstätte entsprechend installieren lassen. Es ist relativ original, so wie es auch gewesen ist.“

Grünes Band

Nicht nur hier durch Südthüringen zieht sich das Grüne Band. Es verläuft entlang der ganzen innerdeutschen Grenze und ist heutzutage in weiten Teilen noch gut erkennbar. Nicht nur für den Bund Naturschutz, der im Dezember 1989 damit das erste gesamtdeutsche Naturschutzprojekt verwirklichen konnte, ist es ein Geschenk: fast vierzig Jahre war es ein breiter Streifen, der in vielen Bereichen sich selbst überlassen blieb. Der ideale Rückzugsort für viele Tiere und Pflanzen.

Grenzstreifen bei Schifflersgrund
Grenzstreifen bei Schifflersgrund im Eichsfeld

Heute beherbergt das Grüne Band mehr als 1.200 gefährdete Tier- und Pflanzenarten, darunter seltene Vogelarten wie den Schwarzstorch und den Kiebitz, aber auch Wildkatzen und Laubfrosch, sowie bedrohte Insekten und Orchideen. Unterschiedlichste Lebensräume wie Feuchtwiesen, Heide, Moore und Wälder reihen sich aneinander, wodurch ein wichtiger Korridor für die Wanderung von Tieren entstanden ist. Außerdem ist das Grüne Band ein Symbol für die erfolgreiche Verbindung von Naturschutz und Erinnerungskultur.

Einige Tipps

„Reise durch ein verschwindendes Land“ – eine unerwartet (und ungeplante) Dokumentation des Alltags in der DDR.

Wer mehr historisches Material zum Grenzübergang Eisfeld möchte – immer gern. Aber Vorsicht – es ist wirklich spannend und zumindest ich verliere da sehr viel Zeit.

In die gleich Kerbe schlägt das Stasiarchiv – wahnsinnig viel, gute Information und viel zu wenig Zeit, alles zu lesen.

„Was uns erinnern lässt“ Kati Naumann – sagt ein Nachbar, fehlt hier noch. Ich habe es noch nicht gelesen, aber traue seiner Empfehlung 😉

Hier gibt es mehr Infos zum Grenzwanderweg, den ich ganz sicher bald mal ganz laufen werden. Wer braucht schon Muscheln und Pilgerpfade, wenn er sowas in greifbarer Nähe hat.

Kennt ihr den Film „Ballon„von Bully Herbig. Es ist die Zweitverfilmung einer DDR Flucht und ich erkenne den Westblick auf das Land. Inzwischen. Leider nur noch bis 10.10.2024 in der ARD Mediathek. Aber wird bestimmt danach immer mal wieder irgendwo auftauchen.

2 Antworten auf „Grenzübergang Eisfeld – eine lebendige Gedenkstätte“

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