Doch Stopp – wieso bleibt? Ist Deutschland denn überhaupt gentechnikfrei? Und was bedeutet „gentechnikfrei“ beziehungsweise „gentechnisch verändert“ eigentlich? Wie arbeitet die „neue“ Gentechnik?
Eine wirklich heikle Frage, der sich Mitte Februar Experten auf Einladung der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Ethikrats in Berlin, so wie im März im Rahmen der Biofach 2017 Experten aus der Biobranche in Nürnberg widmeten.
Es geht um den Begriff der „gentechnisch veränderten Pflanzen“.
Muss er angesichts der „neuen Züchtungstechniken“ oder „neuer Gentechniken“ auch neu definiert werden? Ist eine Veränderung eines einzelnen Genoms eine bewusste Veränderung der Pflanze und damit Kennzeichnungspflichtig?
Zum Hintergrund – Gentechnik damals und heute
Die Gentechnik hat ihre Anfänge in den 1970er Jahren. Die damalige Definition bezog sich vor allem auf eine Methode, bei der Nukleinsäuren verschiedener Arten kombiniert und in vermehrungsfähige Organismen eingeschleust wurden. Das alles geschah in recht unpräziser Weise. Fremdes Genmaterial wurde sozusagen großflächig ins Genom transportiert. Ganze Passagen der DNA ausgetauscht oder überschrieben.
Unterschieden wird zwischen weißer (bei Mikroorganismen – in der industriellen Produktion von Lebensmitteln oder Vitaminen), grüner (Pflanzen) und roter (Menschen – zumeist im medizinischen Bereich) Gentechnik. Weiße und rote Gentechnik sind selten in der Kritik, da davon ausgegangen wird, dass sie in „geschlossenen“ System angewendet werden. Wie löchrig ein geschlossenes System sein kann, weiß man aus anderen Sparten der Chemie, Pharma und Atomindustrie. Trotzdem ist die Kritik an der weißen und roten Gentechnik (derzeit) verstummt. Dabei sind ja gerade bei der weißen Gentechnik Lebensmittel betroffen – ein Umstand, der mich schon stutzen lässt…
Ganz anders ist die Diskussion rund um die grüne Gentechnik. Die Angst vor einer Verbreitung durch Feldversuche und den Einfluss auf die Natur führt immer wieder zu Protesten. Bekannte Beispiele: Genmais 1507, Kartoffel Amphora. Speziell gegen Risikokulturen wie Mais, Raps oder Kohl, die sich ungern einsperren und kontrollieren lassen, regt sich immer wieder Widerstand. Zumal die Haftungsfrage strittig ist. Es gilt in diesem Fall nicht das Verursacherprinzip, also die Haftung desjenigen, der gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut hat. Vielmehr sind es die Biobauern, die den Nachweis führen müssen, dass ihre Pflanzen nicht kontaminiert und verändert sind.
Die neuen Methoden, allen voran seit 2012 CRISPR-Cas, sind sehr präzise und arbeiten überwiegend mit dem eigenen Genmaterial, das innerhalb der Zelle verändert wird. Punktgenau. Ganz gezielt wird ein Gen ausgesucht und verändert. Durch den Verzicht auf fremdes Genmaterial ordnen die Experten diese Methode als Mutation und nicht als genetische Veränderung ein. Sie kann später (im Gegensatz zur alten Gentechnik) innerhalb des Produktes, also zum Beispiel der Pflanze nicht nachgewiesen werden. Die Wissenschaft bezeichnet diese Methode daher als neue „Züchtungstechnik“, weil sie die klassische Züchtung nur beschleunige, also Pflanzen mit ihren eigenen DNA-Voraussetzungen modifiziert.
EU und BRD beraten über eine neue Definition und Regulierung der Gentechnik. Die alte Grundlage hat diese neuen, feineren Methoden nicht berücksichtigt.
Expertenmeinungen
„Ich denke, dass Wissenschaftler und Pflanzenzüchter dieser Auslegung der geltenden Gentechnik-Definition durchaus zustimmen können. Und die Verbraucherinnen und Verbraucher könnten es auch. Dafür müsste sich lediglich die Erkenntnis durchsetzen, dass die Verwendung von Genome Editing zur gezielten Erzeugung von Mutationen nicht mehr ist, als eine Abkürzung im Prozess der Pflanzenzüchtung. Was mit Mutationen durch Genome Editing erzielt werden kann, könnte der Züchter meist auch mit Hilfe von Chemikalien oder radioaktiver Strahlung erreichen. Letztere Züchtung erfordert zwar einen wesentlich höheren Aufwand, bedarf aber keiner Zulassung.“ Prof. Dr. Detlef Bartsch, Leiter der Abteilung Gentechnik, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), Braunschweig
„Das Gentechnikgesetz ist neben der Förderung der Gentechnik dazu gedacht, Schaden von den Verbrauchern abzuwenden. Mögliche Schäden sind nicht abhängig von der Herstellungsmethode, sondern von dem Produkt, das heißt von der Pflanze, die so entstanden ist.“… „Diese Pflanzen sollten genauso wenig reguliert werden wie konventionelle Züchtungen. Werden die neuen Technologien genutzt, um neuartige Eigenschaften einzufügen, sind sie mit gentechnisch veränderten Pflanzen vergleichbar.“ Prof. Dr. Inge Brauer, Professorin für Agrobiotechnologie und Begleitforschung zur Bio- und Gentechnologie, Universität Rostock, Rostock
„Bloß weil Veränderungen in der DNA-Sequenz gezielt vorgenommen werden können und diese unter Umständen klein sind, bedeutet dies nicht, dass es keine Gentechnik ist und dass das Resultat kein gentechnisch veränderter Organismen wäre oder keine Sicherheitsprüfungen mehr durchgeführt werden sollten. Im Gegenteil: Die Möglichkeiten, Merkmale zu verändern und in das Genom und dessen Regulation einzugreifen, haben sich drastisch erhöht, besonders auch dadurch, dass man sie mehrfach oder parallel verwenden kann. Hierbei sind sie nicht nur Werkzeuge der Gentechnik, sondern auch der Synthetischen Biologie. Das gilt nicht nur für Pflanzen, sondern auch für Tiere, auch den Menschen – Definitionen der Genetik betreffen alle Organismen, nicht nur Pflanzen.“ PhD Ricarda A. Steinbrecher, Mitgeschäftsführerin, EcoNexus, Oxford (UK)
„Veränderungen am Erbgut, die mit Hilfe von CRISPR-Cas erzieht werden, sind klar als Gentechnik einzuordnen – auch mit CRISPR-Cas erzeugte Punktmutationen (Veränderung eines einzelnen Nukleinbase, eines „Buchstabens“, im genetischen Code; Anm. d. Red.). Schon seit Beginn der Gentechnikgesetzgebung werden Punktmutationen, die mit klassischen gentechnischen Methoden erzeugt wurden, als gentechnisch veränderte Organismen angesehen. So besteht seit jeher kein Zweifel, dass beispielsweise mit gentechnischen Methoden hergestellt Tumormäuse, die gezielte Punktmutationen tragen, unter das Gentechnik-Regime fallen. Dies geschieht aus gutem Grund. Auch kleine Eingriffe, können zu weitreichenden Eigenschaftsveränderungen eines Organismus führen und somit relevante Auswirkung auf Mensch und Natur haben.“ Dr. Margret Engelhard, Leiterin des Fachgebietes Bewertung gentechnisch-veränderter Organismen/Gentechnikgesetz, Bundesamt für Naturschutz, Bonn
„Im Sinne der Beherrschbarkeit und Sicherheit und des Erkenntnisgewinns unterscheiden sich die neueren Gentechniken damit also leider nur wenig von den alten. Selbstverständlich müssen sie reguliert und bewertet werden, sonst gibt es keinerlei Kontrolle über die Risiken und die Auswirkungen und damit auch keinerlei Übernahme von Verantwortung.“ Dr. Angelika Hilbeck, Institut für Integrative Biologie, Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich, Zürich (Schweiz), und Vorsitzende des European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility (ENSSER)
Begriffserklärungen
Genom-Editing
Zielgerichtete Veränderung der DNA und des Erbguts von Menschen, Tieren und Pflanzen durch molekularbiologische Methoden wie CHRISPR-Cas, TALEN, ZFN. Je nachdem an wessen DNA Veränderungen vorgenommen wird, unterscheidet man zwischen weißer (Mikroorganismen), grüner (Pflanzen) und roter (Menschen) Gentechnik. Bei Tieren spricht man von „transgenen Tieren“.
Zunächst wird der DNA-Strang analysiert, dann zerschnitten und verändert, um ihn dann wieder zusammenzufügen. Es werden entweder gezielt Genome zerstört „knock out“ und damit Teile des Erbguts entfernt. Bei „knock in“ werden Gene eingefügt und an bestimmten Stellen eingebaut. „Punktmutationen“ verändern ein einzelnes Gen im Genom.
CRISPR
Abkürzung für „clustered regularly interspaced short palindromic repeats“ – also sich wiederholender DNA Abschnitten und Teil des natürlichen Erbguts von Mikroorganismen. 1987 wurde die erste CRISPR Sequenz im Bakterium E.Coli entdeckt. Es ist eine Art Immunsystem der Bakterien, um sich gegen Viren zu wehren.
Die Methode, die es seit 2012 gibt, dieses Immunsystem zur präzisen Veränderung der DNA zu nutzen, ist schneller, effektiver und natürlich dadurch auch kostengünstiger als ältere Verfahren.
CAS-Protein
Abkürzung für „CRSPR-associated“ Protein – dies ist sozusagen die Schere, die die DNA zerschneidet und die Veränderung möglich macht. Derzeit ist Cas9 das Maß aller Dinge – aber in diesem Bereich der Forschung jagt inzwischen eine Neuerung die andere …
Immer noch Fragen – dann schaut doch hier mal hin: Transgen.de
Gentechnikfrei
Nein – wir können unsere Welt, Europa, Deutschland leider nicht mehr als gentechnikfrei bezeichnen. Dazu gibt es zu viele Bereiche – vor allem in der Landwirtschaft – in denen weltweit Gentechnik eingesetzt wird und sich gentechnische Spuren nicht mehr ausschließen lassen. Es gilt in Europa eine Null-Linie für Saatgut. Also darf gentechnisch verändertes Saatgut nicht gehandelt oder angebaut werden. Eigentlich. Denn in der EU wird länderabhängig eine Null nicht wie eine Null gehandelt. Da ist eine Spanne von 0,0 bis 0,9 ganz locker drin. Kontrollen sind schwierig, ein gemeinsames ziehen in die gleiche Richtung noch schwerer.
Mein Fazit
Für mich sind auch die neuen Verfahren Gentechnik und damit kennzeichnungspflichtig. Die Wissenschaftler nehmen gezielt einen Eingriff im Erbgut vor. Um eine Veränderung herbei zu führen. Das ist Gentechnik. Punkt. Und warum wollen sie eigentlich nicht kennzeichnen, worum es sich handelt? Da fällt mir doch leider nur ein Grund ein: Geld.
Denn die Verbraucher zeigen – in einigen, nicht in allen Ländern – dass sie gentechnisch veränderte Lebensmittel nicht möchten. Sie kaufen sie nicht. Das sieht man schon an den dicken Button auf den Verpackungen, dass sich „gentechnikfrei“ als Verkaufsargument gut einsetzen lässt.
Wenn sich in 20-30 Jahren herausstellt, dass diese Veränderungen ausschließlich Vorteile haben, haben die Produzenten ja sozusagen einen Wettbewerbsvorteil – weil ihre Produkte schon korrekt gekennzeichnet sind 🙂
Transparenzhinweis: Mit Material des Science-Media-Centers
Nachklapp
Drei Jahre später finde ich nun diesen Artikel und muss sagen: ja, die Argumente sind nachvollziehbar. Zumal Covid uns gerade gezeigt hat, wie wenig sicher irgendetwas auf dieser Welt ist – gerade in der Landwirtschaft. Ich bin allerdings nach wie vor für eine Kennzeichnungspflicht und für das Verursacherprinzip 😉
Vielen Dank, das ist eine sehr anschauliche Erklärung, was Begriffe wie CRISPR überhaupt bedeuten und wo sich die Gentechnik hinbewegt.
Ist ein wirklich spannendes Thema, dass manchmal leider im Strudel der täglichen Nachrichten untergeht. Freut mich, wenn es dir gefällt…
Ein wirklich umfassender Artikel zur grünen Gentechnik ist gerade in der ZEIT erschienen. Da geht es um die Hintergründe und Entwicklung. Auch wenn ihm manche Kommentatoren Einseitigkeit vorwerfen – ich finde ihn lesenswert!
http://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/04/gentechnik-genfood-pflanzen-ernaehrung-gesundheit/komplettansicht