„Weihnachten gab es Kunst zum Nachtisch. Meine Töchter hatten die Schokoladen-Pavlova von Nigella bereitet – ein Dessert, das wirklich alle Gäste begeistert. Beim Genießen schoss mir der Gedanke „Das ist große Kunst!“ durch den Kopf. Und ich fragte mich, was diesen Nachtisch so besonders macht. Es ist die besondere Mischung aus Konsistenz (bröckelndes, zartes Schokoladenbaiser neben weicher Sahne und den fluffigen Himbeeren), Geschmack (süß-bitteres Schokobaiser, süß-saure Himbeeren, vermittelnd sanfte Sahne…) und Optik (die Pavlova sieht einfach schon zum Anbeißen aus).
Kochen ist Malerei mit Lebensmitteln, Komposition mit Geschmäckern, Erzählen mit Texturen. Und doch wird Kochen nicht wirklich als Kunst gesehen, ich weiß nur von einer Kunsthochschule, an der es unterrichtet wird. Dabei ist die Kochkunst eine der komplexesten Kunstformen. Sie hat vier Besonderheiten:
1. Die Kochkunst ist multisensorisch
Während bei der bildenden Kunst vor allem das Sehen und bei der Musik vor allem das Hören angesprochen wird, kochen wir für viele Sinne: Geschmack, Körperempfinden (wie fühlt sich die Speise im Mund an), Geruch und Optik.
2. Kochen ist direkter Genuss
Natürlich kann die Arbeit am Roman oder Gemälde mit Genuss verbunden sein. Wenn ich einen besonders schönen Pinselstrich mache, oder die Worte in einem Satz so wunderbar zusammen klingen. Aber seien wir ehrlich: Das ist nicht zu vergleichen mit der lustvollen Erfahrung des Soßen-Abschmeckens oder dem Naschen an Gemüsescheiben oder Plätzchenteigen.
3. Kochen ist Kunst für den Moment
Anders als bei vielen anderen Kunstformen geht es beim Kochen nicht um das Erschaffen von Werken für die Ewigkeit. Wir erschaffen ein Kunstwerk, um es zu zerstören. Kaum ist es auf dem Teller gelandet, wird es schon von Messern zerschnitten, von Gabeln aufgespießt, von Zähnen zermahlen und in andere Erscheiungsformen umgewandelt. In der kurzen Phase zwischen dem Aufdienen und dem Schlucken entsteht großer Genuss, aber dieser Genuss ist nicht festzuhalten, weder mit Fotos noch mit Worten.
4. Kochen ist Liebe
Wer den anstrengenden und hektischen Alltag in Restaurantküchen kennt, mag beim Hören dieser Behauptung auflachen. Doch auch Berufskochkünstler sind trotz Stress an einer ganz zauberhaften Sache beteiligt. Wir könnten schließlich auch mit Dosenravioli und Knäckebrot überleben. Stundenlang am Herd zu stehen, Gemüse in feine Streifen zu schneiden, sorgfältig die Gewürze abzuwägen, komplizierte Teige herzustellen, all das ist für unsere Gesundheit nicht nötig. Wir tun es, weil wir es uns und anderen gönnen, das Glück einer guten Mahlzeit zu erfahren. Egal ob es der Vater ist, der seinem Sohn das Schulbrot liebevoll belegt oder die Sterneköchin, die in ihre Gäste mit besonders kreativen Kompositionen bezaubert: Wer mit Liebe und Begeisterung kocht, macht andere glücklich.
Doch es geht beim Kochen eben nicht nur um andere. Letzte Woche war ich bei meiner Großmutter. Sie ist jetzt 97 und kocht noch für sich selbst. Jeden Tag läuft sie mit ihrem Rollator zum Supermarkt, wählt mit Hingabe die Zutaten aus (das Fleisch nicht zu fett, die Kartoffeln nicht zu groß) und stellt sich dann an den Herd und bereitet Rezepte, die sie in 80 Jahren Kocherfahrung entwickelt hat. Sodass der Gulasch genau die Konsistenz hat, die Soße die Intensität, die sie am liebsten mag. Und hier wächst aus der Kochkunst noch eine viel größere Kunst. Auch die wird an keiner Schule unterrichtet, obwohl wir von ihr viel mehr gebrauchen könnten: Die Kunst, dir Gutes zu tun. Dich zu verwöhnen. Zeit in etwas zu investieren, das dich glücklich macht. Von dieser besonderen Kunstform wünsche ich uns allen viel mehr.
Und jetzt geh ich in die Küche und schaue, was ich mir Gutes tun kann. Vielleicht kann ich das mit den Salzburger Nockerln noch mal probieren…“
Und hier ist der Link zu den Pavlovas, die so viel Begeisterung hervorgerufen haben.
Nathalie Bromberger
Nathalie ist Kreativcoach und Comiczeichnerin. In ihrem Blog geht es darum die eigene Kreativität zu finden, zu befreien und zu geniessen. Sie wurde mir im Texttreff, einem wunderbaren Netzwerk für wortstarke Frauen beim diesjährigen Blogwichteln zugelost. Das Blogwichteln ist eine spannende Aufgabe, weil wir (rund 900 Frauen) aus den unterschiedlichsten Bereichen kommen und uns nur die Liebe zum Text/Wort verbindet.
Für mich war Nathalies Blog eine enorme Herausforderung, denn er ist ausschließlich mit tollen, witzigen, farbenfrohen Zeichnungen illustriert – also nix mit „Anne, mach mal ein Foto“ 🙂
Unser Thema haben wir schnell gefunden – zwei mal ein Blick auf Kochen, Kunst und Kreativität. Aus zwei verschiedenen Richtungen. Danke liebe Nathalie, für deinen tollen Gastbeitrag.
Und wer Lust hat, findet meinen Wichtelbeitrag für Nathalie hier.
Darin verrate ich einiges über die geheime Zutat des Kochens – die Kreativität.
Beim Blogwichteln schreibt frau für den Blog einer anderen:
- Gepfeffertes Norwegen – von Maike Frie
- Sattvig macht satt und glücklich – von Ute Freundl
- Pfefferkuchen- Geschichten – von Heike Baller
- Argumente pro Rosenkohl – für bekennende Fans und solche, die es werden wollen – von Gabriela Freitag-Ziegler
Meine Gastbeiträge:
- Kreativität – die geheime Zutat des Kochens
- Hühner, Reis und die Chaostheorie
- Zimt – ohne geht in Norwegen nix
- Nils Heinrich
Und weil ich langsam die Übersicht verliere, habe ich alle Beiträge mal zusammengefasst 😉
Hm nämlich. Das Rezept hab ich direkt gespeichert. Und den Beitrag geb ich an meinen Sohn weiter – er wird Natalie voll zustimmen.
Drei Sterne für diesen Beitrag. Von mir hast Du sie schon.
Drei Sterne für diesen Beitrag. Von mir hast sind sie Gewiss.