Point Alpha – ein Blick zurück ist ein Blick nach vorn

Gedenkstätten sind leider häufig eher traurige, lieblose und dadurch auch völlig nutzlose Versuche, die Erinnerung wach zu halten. Wer kann sich nicht an diese langweiligen Klassenausflüge zu irgendwelchen wichtigen, verstaubten und unattraktiven kultur- oder geschichtsträchtigen Stätten erinnern, bei denen der Lehrer genauso desinteressiert in der Ecke stand, wie die Schüler!? Ganz anders in Point Alpha!

Ich habe den Test gemacht – und diese Gedenkstätte hat bestanden 🙂

Mai 2016

Eine Pressereise führt mich erstmals hierher –  an die Grenze zwischen Thüringen und Hessen – früher natürlich zwischen BRD und DDR. Mein Augenmerk liegt zwar auf Themen rund um Kuliarik und Ernährung. Eine Gedenkstätte wie Point Alpha ist da eher Beiwerk – aber manchmal ist es ja gerade das Beiwerk, das eine Sache wirklich schmackhaft und rund macht.

Die Trennung Deutschlands, das Leben in der DDR und die Wiedervereinigung (die mich mit 25 blank erwischte) – eigentlich dachte ich, ich bin da ganz gut informiert. Doch dann treffe ich auf David, unseren Gästeführer und begreife, wie viel ich doch nicht weiß, nicht ahnte und auch nicht für möglich hielt.

Der Observation Post „Point Alpha“ war bis 1989 einer der wichtigsten Beobachtungsstützpunkte der US-Streitkräfte in Europa und galt im Kalten Krieg als einer der heißesten Punkte.

Quelle: Pointalpha.com

Grafik Point Alpha Stiftung

Es ist der westlichste Punkt des Warschauer Pakts. So weit so klar. 

Doch in zwei Stunden erfahren wir viel mehr: über die Ursachen und Wirkungen des kalten Krieges und seine „Vertreterkriege“ weltweit. Über einzelne Politiker und ihre Bedeutung für Annäherung und Entfremdung. Über die Aufrüstung an der Grenze, um das drastische Ausbluten des „Arbeiter- und Bauernstaates“ durch die Flucht in den Westen zu stoppen.

Model Point Alpha Stiftung

Historische Aufnahmen, Modelle und Exponate lassen die Zeit wieder aufleben. Zusammenhänge und Hintergründe zu Vorfällen und Entscheidungen in BRD und DDR, wie ich sie vorher nicht verstanden habe, werden durch sehr persönliche Geschichten ergänzt. Das Geschichte durch einzelne Schicksale und Menschen an Klarheit gewinnt, ist uns nicht neu – aber irgendwie sind wir doch durch die Offenheit von David berührt. Er kommt aus dem Osten, ist authentisch und hervorragend informiert.

Keine Frage, die er nicht beantwortet, keine Antwort, vor der er sich scheut. Dabei bleibt er so sachlich, wie möglich. Beeindruckend.

Point Alpha Stiftung

Es sind vor allem Kleinigkeiten, die hängen bleiben:

  • das der Zaun von Westseite jederzeit überstiegen und auch einfach mit einem normalen Schraubschlüssel hätte abgebaut werden können, weil die Muttern schutzlos den Kapitalisten zugänglich waren – obwohl er offiziell ja die DDR vor uns schützen sollte. 
  • das die DDR es tunlichst vermied, die exakte Grenze zu markieren. Dies wurde dann durch die BRD gemacht, damit die Bundesbürger nicht versehentlich in Gefahr gerieten. Und natürlich gab es dann überall entlang der Grenze dies Holzstäbe in rot/weiß – bis auf Bayern – ihr ahnt es schon – da waren sie natürlich blau/weiß.
  • das genau hier am „Fulda Gap“ der Erstschlag des 3. Weltkriegs durch den Warschauer Pakt geplant bzw erwartet war und die Jungs auf beiden Seiten der Grenze auf einem Himmelfahrtsposten sassen. Keine der beiden Mächte hat sich auch nur die Mühe gemacht, über eine Evakuierung des Gebietes nachzudenken, das von Osten aus die geeignetste Schneise zwischen Harz und Thüringer Wald für einen Einmarsch in die BRD darstellte. (Ein Klasse Artikel dazu auf der Homepage der Gedenkstätte)
Model Point Alpha Stiftung
  • das Michael Gartenschläger bei dem Versuch zum dritten Mal eine der international geächteten Selbstschussanlagen, die die Flucht aus der DDR verhindern sollten und deren Vorhandensein deshalb rundweg abgestritten wurde, von Westseite abzumontieren getötet wurde.
  • das Bernhard Fey, dessen Fluchtversuch 1975 von elf Schüssen einer Selbstschussanlage hier beendet wurde, erst nach der Wende erfuhr, dass auf hessischer Seite der Grenze ein Gedenkkreuz für ihn steht. Denn dort gab es nur die Information, dass die Flucht gescheitert, der Flüchtende tot sei. Doch Fey überlebte…  hier findet ihr mehr dazu.

Point Alpha im August 2016

Meine Rückkehr – diesmal als private Reise mit meinen drei Jungs. Die sind 17 und damit natürlich genau die richtige Zielgruppe für ein wenig Deutsch-Deutsche-Geschichte. Denke ich mal. Oder nein – ich hoffe es sehr. Denn ich habe mir Mühe gegeben. Habe explizit nach David gefragt und eine Führung mit ihm vereinbart (geht ganz einfach über die Homepage,
Kostenpunkt:
6,00 € Eintritt Erwachsene/Person
5,00 € Eintritt Schüler/Studenten
35,00 € Führungsgebühr Museum pro Gästebegleiter )

Und so schaue ich mir Point Alpha in diesem Jahr ein zweites Mal an. Achte diesmal natürlich vor allem auch auf die Reaktion der jungen Kerle – kann David auch sie für das Thema begeistern?! Einfach ist das ganz sicher nicht 😉

Obwohl wir diesmal nur zu 6 sind und keine Journalistenfragen auf ihn einprasseln – die Führung dauert wieder locker zwei Stunden – vom Haus auf der Grenze, über den Weg der Hoffnung, die rekonstruierten Grenzanlagen zum ehemaligen US-Beobachtungsstützung mit Turm, Baracken und Freizeitbereich. Es ist spannend, denn natürlich unterscheidet sich dieser Rundgang doch immer wieder in einzelnen Themen von dem im Mai. Das fällt natürlich nur mir auf.

Ich befürchte allerdings, dass ich die Jungs damit überfordert habe. Denn sie sagen kaum was, scheinen zwar aufmerksam zu zu hören, machen schon mal wenigstens keinen Unsinn – trotzdem bin ich unsicher.

Ausstellung Point Alpha Stiftung

Nach der Führung – ein herzlicher Dank an David und dann absolute Stille. Alle drei sind auf dem Rückweg zum Auto nicht zum Plaudern aufgelegt.  Wehren meine Nachfragen ab.

„Ich habe unseren Urlaub versaut, am letzten Tag“, geht es mir durch den Kopf. Nur, weil ich immer mehr noch mehr will, weil ich die armen Burschen in den Ferien mit Geschichte konfrontiere.

Doch nach einer halben Stunde (und einem ordentlichen Picknick), tauen sie auf. Stellen Fragen, diskutieren untereinander und mit mir und versichern mir schließlich alle drei, dass dies der beste Part unserer diesjährigen Reise war. 

Ihr seht – es geht. Man kann auch Jugendliche mit dem richtigen Konzept mit Geschichte und Geschichten begeistern. Denn Geschichte an sich ist spannend. Unterricht und Gedenkstätten sind es leider meist nicht.

Point Alpha ist anders – zum Glück!

Ausstellung Point Alpha Stiftung

Weitere Geschichten aus der Rhön:

Mit freundlicher Unterstützung von Thüringen Tourismus GmbH*, Erfurt, die mich zu einer Pressereise in die Rhön eingeladen haben.

Mein besondere Dank geht an Kerstin Neumann von Thüringer Tourismus GmbH und Anja Schuchert von der Rhön GmbH*.

So wie Familie Heidinger, bei denen ich immer gern bin.

*Werbung

Dieser Artikel enthält Links zu Produzenten und persönliche Empfehlungen von mir. Ich bin dafür zwar weder bezahlt noch beauftragt worden, doch da ich Produkte/Produzenten nenne, muss ich dies als Werbung kennzeichnen. Und wisst ihr was – diesmal ist es wirklich welche 😉

2 Antworten auf „Point Alpha – ein Blick zurück ist ein Blick nach vorn“

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