Reinhard Lühring und Grünkohl – das ist wahre Liebe

Bunt und bunter soll er sein, der Grünkohl von Reinhard Lühring. Weiß und Rosa ist sein aktuelles Züchtungsziel. Und der Kohl soll die Farbe, die sich durch Kälte erst richtig entfaltet, zuverlässig halten. Doch das ist gar nicht so einfach.

bunter Grünkohl von Reinhard Lühring

Rund zweihundert alte Gemüsesorten baut Reinhard Lühring auf seinem Hof im niedersächsischen Rhauderfehn an: Busch- und Stangenbohnen, Zuckererbsen und andere heimische Gemüse. Dazu kommen dann noch Blumen, Kräuter und jede Menge Andenbeeren. Doch sein Herz gehört ganz eindeutig dem Grünkohl. Und der Herstellung eigenen Saatguts.

Reinhard Lühring und das Saatgut

Eigentlich ist der Kopfkohl Schuld. Denn diesem runden Gesellen sein Saatgut abzuringen, hat Reinhard Lühring fasziniert. Gemüseanbau ist das eine, aber das eigene Saatgut zu gewinnen – da erkannte er seine persönliche Herausforderung. Natürlich sollte auch diese Tätigkeit möglichst vielfältig und abwechslungsreich sein. So kam es für ihn nicht infrage, für einen der großen Saatgutproduzenten alljährlich 3 Sorten auf 3 Hektar heranziehen. Er wollte – und tut es – eine möglichst bunte Mischung anbauen.

Andenbeere, Physalis
Andenbeere, Physalis

In Witzenhausen lernte er Dreschflegel kennen. Dieser Biosaatguthersteller und -handel arbeitet seit den 1990er Jahren ausschließlich für Hausgärten und Selbstversorger. Mit den Kollegen verbindet ihn die Überzeugung, dass samenfestes Saatgut einen entscheidenden Teil der bäuerlichen Freiheit bewahrt. 18 Höfe sind aktuell bei Dreschflegel und bilden gemeinsam eine GbR. Jeder Betrieb ist autark und arbeitet eigenverantwortlich.

Traumgarten 🙂

Entscheidungen, die die GbR betreffen, werden von allen gemeinsam getragen. Seit 2000 flankiert von dem gemeinnützigen Verein Dreschflegel e.V.*, der sich der Wiederbelebung der eigenen Saatgutvermehrung durch Schulungen und Aufklärung verschrieben hat.

Das entspricht auch dem ausdrücklichen Ziel von Reinhard Lühring, der übrigens über Dreschflegel nur einige wenige Grünkohlsorten anbietet. Aktuell sind dies im Kohlbereich: „Grünkohl Ostfriesische Palme“, „Grünkohl Ostfreeske Groenkohl“, „Braunkohl Rote Palme“, „Palmkohl Negro Romano“, „Blaukohl Diepholzer Dickstrunk“, „Wirsing Dauerwirsing (Langedijská)“, „Rosenkohl Groninger“, „Schnittkohl Bremer Scheerkohl“, „Sibirischer Kohl Russischer Roter“ und „Palmkohl Nero di Toscana“.

Doch man findet eben auch tolle friesische Bohnen, Radieschen, Rote Bete und weitere samenfeste Gemüsesorten seines Hofes dort.

Reinhard Lühring vor seiner Schatzkammer mit dem Saatgut
Reinhard Lühring vor seiner Schatzkammer mit dem Saatgut

Den Rest seiner etwa 25 alten Grünkohlsorten verschenkt der Friese an Hobbygärtner und Erhaltungszüchter. 300 von Ihnen hat er inzwischen nach eigener Schätzung mit Saatgut beliefert. Darum geht es ihm: die Menschen sollen wieder lernen, ihr Saatgut selbst herzustellen und es bestmöglich an den eigenen Garten und Geschmack anzupassen. Ein, zwei Sorten reichen zum Anbau und dann wird – wie früher – untereinander am Gartenzaun (oder im 21. Jahrhundert übers Internet) getauscht.

Grünkohl Saatgewinnung

Leicht macht es der Grünkohl den Gärtnern allerdings nicht. Als zweijährige Pflanze produziert er erst im zweiten Jahr Samen. Und ist als Kreuzblüter extrem tauschfreudig mit seinem Erbgut. Was in der Praxis heißt: wer Einfluss auf die Samen nehmen will (und sie sortenrein gewinnen möchte), muss diese mindestens 500 Meter von einer anderen Grünkohl oder Kohlsorte entfernen. (Eigentlich sogar von anderen Kreuzblütern zu denen dummerweise auch Raps gehört).

Also 500 Meter, wenn dazwischen Bäume, Büsche oder andere Hindernisse sind. Sonst braucht es 1000 Meter Abstand. Sagen die von DIYSEEDS.org. Da findet ihr mehr Hintergrundinfo und gute Erklärungen.

Anzucht verschiedene Kohl und Grünkohlsorten
Anzucht verschiedene Kohl und Grünkohlsorten

Reinhard Lühring lässt seinen Kohl natürlich auch nur im ersten Jahr so wunderbar wild beieinander stehen. Wenn er Samen produziert (das ist nicht jedes Jahr für alle Sorten nötig, da die Samen über mehrere Jahre keimfähig sind), gräbt er ihn aus und separiert ihn mit seinen Artgenossen.

Die Sorten, die er hier in Ostfriesland gefunden hat, erhält er so, wie sie war. Aber natürlich hat er züchterisch durchaus eigene Ideen und mit seinem biologischen Saatgut den perfekten Grundstock für seine Arbeit.

Seinen Grünkohl nimmt er über das Erscheinungsbild wahr (und erst im zweiten Schritt über den Geschmack) und orientiert seine Züchtung daran. Anders als bei Rosen, gehört Grünkohl zu den zweigeschlechtlichen Pflanzen und deswegen legt er fest, wen er bei der Kreuzung als Vater oder Mutter ansieht.

Normale Züchtungen dauern über 5-6 Generationen, bis eine neue Sorte fertig ist. Der zweijährige Grünkohl benötigt für diesen Zeitraum allerdings rund 10-12 Jahre, um stabil zu werden.

Grünkohlvielfalt

Grünkohlvielfalt
Grünkohlvielfalt a la Lühring

Nicht kopfbildende Kohlarten gehören zu den ältesten Kulturformen des Kohls. In der Schweiz heißt alles Federkohl, obwohl das eigentlich eine eigene Art ist. Eine Zierpflanze. Die Unterscheidungen von Grünkohl, Braunkohl und Palm- oder auch Schwarzkohl ist eh nicht ganz leicht.

Ostfriesische Palme

GrünkohlDie Ostfriesische Palme ist der Klassiker unter den Grünkohlsorten in Norddeutschland. Ein echter Mehrnutzungskohl. Sehr hoch und vielseitig einsetzbar. Die unteren Blätter wurden im Spätsommer und Herbst ans Vieh verfüttert, im Winter die oberen Blätter gegessen.

Austreibender Grünkohl
Austreibender Grünkohl – oder doch schon Flower Sprouts (da habe ich leider nicht nachgefragt)

Wenn dann im nächsten Frühjahr an den Blattachsen die jungen Sprossen wieder austreiben, ist das ein wunderbares Frühlingsgemüse. Da diese knackigen kleinen Triebe immer mehr Fans haben, wird züchterisch daran getüftelt, die kleinen Sprossen auch schon im ersten Jahr zu bekommen. Als Flower Sprouts, Knospenkohl oder Flowersprouts findet ihr sie inzwischen in guten Gemüseabteilungen und auf Wochenmärkten.

Palmkohl

Palmkohl
Palmkohl

Die glatteren Blätter, die eher gewölbt statt kraus sind und die auch nicht an so hohen Stielen wachsen, helfen ihn zu erkennen. Aus Italien tritt er gerade seinen Siegeszug in unsere Küche an – denn er ist feiner im Blatt und daher für kürzere Garzeiten zu haben. Reinhard Lühring rät, ihn nicht zu kochen, sondern in dünne Streifen geschnitten in Öl zu braten.

Spanischer Grünkohl
Spanischer Grünkohl – erkennbar am glatten Blatt

Braunkohl

Das sind die eher blauroten Sorten, die in den letzten Jahrzehnten verschwunden sind. Sie wurden im südlicheren Niedersachsen bevorzugt und sind inzwischen wieder gesucht.

„In Braunschweig gibt es seit dem Frühjahr 2008 ein Projekt zur Nachzucht des „echten“ Braunkohls. Er wird heute wieder im Botanischen Garten, aber auch im Lehr- und Versuchsgarten der Gartenfreunde Landesverband Braunschweig gezüchtet.“
Quelle: Braunschweig.de

Braunschweig hat dann auch noch gleich eine eigene Wurstvariante dazu gepackt: die Bregenwurst (aber das ist eine ganz eigene Geschichte ;-).

Rote Palme - ein Grünkohl
Rote Palme – ein Braunkohl

Der „Grünkohlring“ – eine Definition von Reinhard Lühring

Grünkohl braucht viel Wasser. Aus diesem Grund gibt es eine Art Grünkohlring in Nordwesteuropa, der etwa 100 Kilometer von den Küsten ins Landesinnere reicht. Allerdings auch nicht zu weit nördlich. In Skandinavien ist Schluss. Ab hier sind es artverwandte Blattkohlarten, die dort angebaut werden. Von Litauen westlich entlang der Küste findet man Grünkohl in Polen, Deutschland, Holland, Belgien, Frankreich und England. In Spanien und Italien gibt es den im Blatt glatteren Palmkohl.

Flowersproutsamen von Reinhard Lühring
Flowersproutsamen von Reinhard Lühring – DANKE!

Mit freundlicher Unterstützung von TourismusMarketing Niedersachsen GmbH*die mich zu einer kulinarischen Pressereise nach Niedersachsen eingeladen hat.

Mein besonderer Dank geht an Renate Rebmann und Pia Spitzberg. Renate gelingt es immer wieder tolle Menschen und Themen zu finden und meine Begeisterung für Niedersachsen weiter zu steigern. Danke.

Und natürlich an Reinhard Lühring*, dem ich ein Tütchen mit Saatgut abringen konnte. Von dem spannenden Knospenkohl/Flowersprouts, der noch gar nicht angeboten wird. (Ich habe mit den KollegInnen vor Ort großzügig geteilt und bin gespannt, wie der Anbau bei ihnen läuft – also meldet euch bitte!)

Tiere und Nutzpflanzen aus alter ZeitÜber Reinhard Lühring und Grünkohl habe ich vor 10 Jahren in  „Tiere und Nutzpflanzen aus alter Zeit“ berichtet. Damals reichte meine Zeit aber leider nicht für einen Besuch bei ihm, den ich nun natürlich doppelt genossen habe.

Wäre toll, wenn unser Garten in einigen Jahren auch so ausschaut!

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Dieser Artikel enthält Links zu Produzenten und persönliche Empfehlungen von mir. Ich werde dafür nicht bezahlt und niemand nimmt Einfluss auf meine Texte und Tipps. Doch zur höchstmöglichen Transparenz lege ich diese Verbindung hiermit offen.

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